Lange Zeit herrschte die Vorstellung vor, dass frühmittelalterliche Schreiber für die Formulierung von Urkunden auf stereotype Formulierungen zurückgriffen, die sie Mustertexten aus Formelsammlungen entnommen hätten. Aber orientierten sich die Schreiber wirklich an derartigen Vorlagen?
Unter Verwendung neuer digitaler Methoden der Urkundenforschung wird am Beispiel der frühmittelalterlichen Privaturkunden Alemanniens und Bayerns freigelegt, welche Techniken die Schreiber bei der Formulierung von Privaturkunden tatsächlich anwandten; es wird gezeigt, dass die Schreiber frühmittelalterlicher Urkunden für die Formulierung der Texte über umfangreiche Freiheiten verfügten. Das frühmittelalterliche Privaturkundenwesen Alemanniens und Bayerns war somit entgegen früherer Vorstellungen der Forschung nicht durch Gleichförmigkeit, sondern ein hohes Maß an Heterogenität geprägt.
Franziska Quaas war von 2017 bis 2020 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt »Formulae – Litterae – Chartae. Neuedition der frühmittelalterlichen formulae inklusive der Erschließung von frühmittelalterlichen Briefen und Urkunden im Abendland (c. 500-1000)« an der Universität Hamburg / Akademie der Wissenschaften in Hamburg, wo sie 2020 in Mittlerer und Neuerer Geschichte promoviert wurde. Nach einer Tätigkeit in der an der Universität Hamburg angesiedelten Forschungsgruppe »Gewalt-Zeiten. Temporalitäten von Gewaltunternehmungen« (2020-2023) widmet sie sich seit 2023 im Projekt »Regesta Imperii« an der Philipps-Universität Marburg / Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz der Neuberarbeitung der Regesten Karls des Großen. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen neben Diplomatik und formelhaften Schreiben insbesondere Militär- und Gewaltgeschichte.